Freiheit kann man lernen

Liebe ist … eine einfache Sache

Auf einer Berghütte gibt es kein Privatleben. Was also bewegt ein verliebtes junges Paar wie Elisa Bettega und Piero Casagrande, vier Monate im Jahr auf einer Schutzhütte zu leben? Seit 2019 betreiben sie das Rifugio Velo della Madonna am Fuße der Cima della Madonna, einem der berühmtesten Gipfel der Dolomitengruppe Pale di San Martino.

Der Ort ist überaus attraktiv ... keine Frage! Aber „hier kann man’s aushalten“ funktioniert nur, wenn man lernt, offen miteinander umzugehen… dank der Berghütte!

„Dort oben gibt’s kaum Ausweichmöglichkeiten“, erklären die beiden, „wir sind verschieden in Bezug auf Denkweise und Handeln, aber wir haben es geschafft, uns miteinander zu arrangieren. Grollen und Schmollen kannst du dir hier nicht leisten – du musst lernen, die Dinge auszusprechen. Es war sicher ein Prüfstein, denn wenn wir nicht zusammenhalten gemusst hätten, wäre nach dem ersten Jahr wahrscheinlich jeder seiner Wege gegangen und zwar möglichst meilenweit voneinander entfernt!

Elisa ist im Valle di Primiero geboren und aufgewachsen: „Ich bin aus Mezzano und habe einen etwas ungewöhnlichen Weg beschritten, denn eigentlich habe ich biomedizinische Labortechnik studiert. Was natürlich gar nichts mit dem zu tun hat, was ich jetzt mache. Aber da ich hier zuhause bin, habe ich in der Saison schon immer gearbeitet, in Hotels usw.“

Piero stammt aus Venetien: „Ich komme aus Valdobbiadene und für uns fangen im Primiero die echten Berge an. Seit ich den Führerschein habe, bin ich oft hierhergekommen, vor allem im Winter zum Skifahren. Wenn ich nicht auf der Hütte bin, arbeite ich als Gärtner. Beruflich habe ich mich bisher nie ganz festgelegt. Der Skisport stand im Vordergrund, und so habe ich immer nur bis zum nächsten Rennen in die Zukunft geschaut.“         

Elisa, Piero und die Berghütte in den Pale di San Martino

Wie ging das, sich als Betreiber für eine Berghütte zu bewerben?

„Dank der sozialen Medien erfährt man heutzutage leichter von einer Ausschreibung des Tridentinischen Alpinistenvereins SAT. Früher gab es nur Aushänge oder Mitteilungen in speziellen Bereichen. Wir haben sie zwei Tage vor Ablauf der Angebotsfrist entdeckt. Der erste Schritt ist wirklich einfach, denn die Bewerbung besteht zunächst aus einem Formular, in dem man Angaben macht zu Ausbildung, Erfahrungen usw., grundlegende Dinge also. Einzige verpflichtende Voraussetzung für die Teilnahme an der Ausschreibung ist, dass man Mitglied des Italienischen Alpenvereins CAI oder des SAT ist, und die Örtlichkeiten der Hütte kennt.“

Dann, nach einer Vorauswahl der Bewerbungen beginnt das eigentliche Auswahlverfahren.

„Wir wurden nach einem Betriebsprojekt gefragt. Unsere erste Grundidee war die eines hochgelegenen Hauses, bei dem Gastfreundschaft, familiäre Atmosphäre, Einfachheit und die Verwendung regionaler Produkte im Vordergrund stehen. Ein Ort, wo man das Tempo drosselt – diese Vorstellung haben wir von einer Berghütte. Wir wollten einen Hüttenbetreib wie in früheren Zeiten. Wir dachten, dass sei problemlos möglich, zumal die Hütte nicht für jeden superleicht zugänglich ist, aber leider war es dann doch nicht so einfach.“

 

Und warum?

„Denn in Wirklichkeit kommen auch unvorbereitete, unerfahrene Leute. Wenn du eine Berghütte betrittst, siehst du meist eine Bartheke, einen Speisesaal, der mehr oder weniger aussieht wie im Restaurant, du findest Zimmer mit Betten ähnlich wie in einem Hotel ... aber du musst dir bewusst sein, dass es nicht dasselbe ist. In einer Hütte gibt es gewisse Schwierigkeiten, die Bergerfahrene kennen und mit denen sie umgehen können. Wenn jemand mit der Einstellung ich will dies und das, ich verlange, weil ich zahle hierherkommt, wird alles komplizierter.

Wer immer an der Hütte ankommt, ist bei uns willkommen, und wenn’s geht, tun wir unser Bestes, um Einzelbedürfnissen gerecht zu werden. Aber die Grundlage bleibt die, eine warme, trockene, saubere und einladende Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Es gibt jedoch Leute, die ihre ganze Energie darauf verwenden, nach negativen Dingen zu suchen, und dabei den Ort gar nicht genießen, der ja schon alleine wunderschön ist. Alle zusammen auf der Hütte zu essen und zu schlafen ist Teil des Gemeinschaftserlebnisses, und das macht den Charme der Hütte aus.

Manche dagegen sind hauptsächlich damit beschäftigt, ihr Unbehagen an Standards zu messen, die nichts mit diesem Umfeld zu tun haben. Andererseits kann auch der Betreiber nicht eine Hütte übernehmen mit der Idee, hier wie in einer Bar unten im Tal oder in einem Hotel zu arbeiten. Hier geht es nicht nur darum, Kunden anzulocken, sondern man muss in der Lage sein, die Touristen, Wanderer und Bergsteiger anzuleiten und sich ihrer anzunehmen.

2019 habt ihr die Hütte übernommen und 2020 kam Corona ...

„Mit Corona hat keiner gerechnet, aber dadurch kamen auch mehr Menschen in die Berge, einige vorbereitet, andere weniger. Wenn ich irgendwo hingehe und weiß nicht genau, was mich dort erwartet, muss ich gut aufpassen, um Risiken vorzubeugen. In der Hütte kann man nicht auf ein Einzelzimmer bestehen, denn schließlich ist meine Priorität als Wirt, allen, die da oben ankommen, eine Unterkunft zu gewähren. Andererseits zeigen wir gerne Entgegenkommen, wenn immer es möglich ist.

Normalerweise haben wir von Sonntag bis Freitag vier bis höchstens zehn Gäste pro Nacht. Das Problem ist der Samstag. Unter der Woche kann man einem Paar ein einzelnes Zimmer geben, aber wenn die Hütte voll ist, ist sie voll. Corona war zwar für viele Leute eine Gelegenheit, die Berge kennenzulernen, aber es wird es einige Zeit dauern, bis sie Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt haben.

Die Berge sind ein Ort der Ruhe und der Freiheit, für den es aber Erziehung braucht. Und wie man sich in der Bergen verhält, lernt man nicht in 10 Tagen, oder in einem Online-Kurs, oder indem man zehn auf einem Stück Papier notierte 10 Regeln befolgt. Man braucht Erfahrung, um den Aufstieg zu immer schwieriger zu erreichenden Hütten zu schaffen, und die Einsicht, dass die eigene Anstrengung belohnt wird durch die Anstrengung des Hüttenwirts, dir einen heißen Tee hinzustellen. Es gibt immer wieder Leute, die überzeugt sind, dass einen Dienst zu erbringen heißt, zu ihren Diensten stehen müssen. Aber solche Leute sind niemals zufrieden und basta.“

 

Also, was ist eurer Meinung nach ein Hüttenwirt?

„Als Hüttenwirt kann man sich glücklich schätzen, denn man hat die Freiheit, da oben leben zu können und damit dem normalen Trubel des Lebens mit seinem Lärm und seiner Hektik zu entkommen. Unser Tag beginnt morgens um sechs auf vollen Touren und endet abends um elf auf eben vollen Touren, aber das Tempo bei der ganzen Arbeit, die man dort oben verrichtet, wird nicht von den Zeiten der Uhr bestimmt, sondern von der der Umgebung und von der Stimmung.

Wenn etwas kaputt geht, hat es keinen Sinn, zu rennen, sondern man muss sich damit abfinden: wenn man’s reparieren kann, gut – ansonsten muss man warten. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, z. B. in der Küche, dann muss man es nehmen wie’s kommt und sagen: ich habe mein Mögliches getan, ich tue, was ich kann, ich habe alles versucht, und dann kann man nur abwarten.

Es ist eine schwere, anstrengende Arbeit: man muss alles in Schuss halten, die Küche, die Seilbahnverbindung, das Wasser auf dem Dach kontrollieren ... Wenn man alles getan hat und in der Hütte schließlich wieder die gleiche Stille wie um sechs Uhr morgens einkehrt, dann ist man in Frieden und fühlt sich frei und glücklich.“

Elisa, Piero und die Berghütte in den Pale di San Martino

Zu zweit fühlt ihr euch nie einsam ...

„Wir mögen das Gefühl der Einsamkeit und Abgeschiedenheit sehr. Dennoch sind auf der Hütte neben uns beiden immer noch mindestens ein bis zwei andere Personen, so dass wir nie wirklich alleine sind. Deswegen ist der schwierigste Aspekt wahrscheinlich nicht die Einsamkeit, sondern das zwangsweise Zusammenleben. Selbst für die Jungs, die mit uns zusammenarbeiten, ist es nicht einfach, im Mai jemanden kennen zu lernen und drei Monate mit ihm/ihr zusammenzuleben. Man ist nicht automatisch kompatibel. Wenn man jemanden nicht mag, muss man sich bis zum Ende der Saison arrangieren. Also muss man seinen persönlichen Weg finden, um mit Dingen zurechtzukommen, die man hier unten vielleicht nicht so ohne weiteres toleriert. Wenn du etwas zu sagen hast, musst du es sofort sagen, und wenn jemand etwas zu dir sagt, musst du darüber hinwegsehen oder es bereinigen, und zwar sofort.“

 

Ihr seid seit sieben Jahren zusammen. Was habt ihr hier oben über euch selbst gelernt?

Elisa: „Wir sind vom Charakter her sehr unterschiedlich. Im Leben hier unten bin ich eher verschlossen, wenn ich ein Problem habe, sage ich erstmal nichts und explodiere dann vielleicht. Piero ist aufgeschlossener.“

Piero: „Elisa hat gelernt, Geduld zu haben und Probleme zu lösen, denn auf der Hütte muss man die Ärmel hochkrempeln und die Probleme irgendwie in den Griff bekommen. Und man muss laufenlassen, wenn’s nicht anders geht. Es gibt Dinge, da kann man nichts tun. Gegen den Mangel an Wasser können wir nichts tun. Die möglichen Lösungen sind nicht unbedingt durchführbar. So lernt man, abzuwarten.“

Elisa: „Piero ist kreativ bei der Lösungsfindung. Haustechnik, Wasserwirtschaft, Strom. Er kann vieles. Er hat das Glück, überall schon mal mitgemischt zu haben. Denn die Hütte ist mit Generatoren und Anlagen ausgestattet, und als Gärtner arbeitet er schon mit solchen Dingen und für viele andere hat er Talent. Und wenn keine Sofortlösung gibt, heißt es abwarten.“

 

Worauf würdet ihr nie verzichten?

Elisa: „In der Hütte zu wohnen, in der Hütte aufzustehen, aufzuwachen und auf die Berge zu schauen.“

Piero: „Das Schönste ist, da oben zu sein. Ich habe nicht viel aufgegeben. Im Unterschied zu Elisa, die den Sommer liebt und ihm keine Freizeit widmen kann, ist meine Lieblingsjahreszeit der Winter, und das kommt mir zugute. Nehmt mir notfalls das Bier weg, aber nicht das Skifahren.“

Wir wünschen euch einen schönen Sommer!

 

Übernachten auf der Hütte

Übernachten auf der Hütte

Auf geht’s
Veröffentlicht am 05/05/2022