Das Nave d‘Oro: ein kleines Grand Hotel der Wissenschaften
Predazzo, Val di Fiemme
Es war einmal ein kleines Hotel mit Blick auf den Platz des schönen Dorfes Predazzo am Fuße der Berge, wo das Val di Fiemme auf das Val di Fassa trifft: das Nave d‘Oro. So wurde es von Michele Giacomelli, dem stolzen Besitzer, genannt. Er konnte nicht ahnen, dass kurz danach sein Hotel, das für Durchreisende gedacht war, ein wichtiges wissenschaftliches Zentrum werden sollte – dies dank der immer einfacheren und schnelleren Reisemöglichkeiten und dem regen intellektuellen Interesse des 18. und 19. Jahrhunderts, die Europa kennzeichneten.
In jenen Jahren herrschte im alten Kontinent eine sonderbare fieberhafte Leidenschaft für weit entfernte Orte und die Dolomiten, ein noch kaum erforschter Traum aus Gestein, war einer der beliebtesten. Neugierige Wissenschaftler, edle Abenteurer, exzentrische Künstler und couragierte Bergsteiger – für viele waren die blassen Berge ein geheimnisvolles Königreich voller Verheißung, Geheimnisse und Ruhm.
"Es war einmal ein kleines Hotel mit Blick auf den Platz des schönen Dorfes Predazzo"
Bald gab es auf den Straßen dieses Dorfes ein exotisches Treiben von Gesichtern, Sprachen und Stilen. Und alle übernachteten im Nave d‘Oro – ohne Ausnahme. Das kleinen Hotel wurde zu einem der berühmtesten Salons der damaligen Zeit. Vom großen preußischen Kammerherrn, dem renommierten Geographen und Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859), bis zum unermüdlichen deutschen Gelehrten und Reisenden Ferdinand von Richthofen (1833-1905); vom berühmten französischen Naturforscher und Geologen Déodat de Dolomieu, der diesen Bergen ihren Namen gab, bis zur englischen Geologin, Botanikerin und Zoologin Maria Mathilda Ogilvie Gordon (1864-1939), die einen Großteil ihres Lebens der leidenschaftlichen Erforschung dieser Berge widmete und als erste Frau den Titel Doctor of Science erhielt. Alle waren auf der Suche nach der spannenden, im kristallklaren Gitter aus blassen Felsen verborgenen Geschichte der Dolomiten und alle waren illustre Gäste des Nave d‘Oro.
"Die Geschichten über die spannenden Abenteuer sind in den Räumen des Museo Geologico aufbewahrt"
Die Geheimnisse und die Schönheit dieser Berge enthüllten sich jedoch nicht nur den neugierigen Augen der Wissenschaftler: Ihre Forschungen spiegelten sich nämlich in den Werken von Schriftstellern, in den Farben von Künstlern und in den Seilschaften von Kletterern wieder, in einer abwechslungsreichen Komposition, die die Geschichte der Einzigartigkeit der Dolomiten zum Leben erweckte. Hervorragende Persönlichkeiten, unruhige Seelen, deren eleganten Signaturen wie Schätze auf den Seiten des Gedenkbuchs des Nave d'Oroeine Erinnerung an sie darstellen – ein wertvolles Zeugnis jener Jahre intellektueller Blüte.
Wenn Sie heute nach Predazzo fahren, werden Sie keine Spur von dem finden, was einst das Nave d‘Oro war. Die wertvollen Erinnerungen im Gedenkbuch und die Geschichten über die spannenden Abenteuer, dank denen die Pracht der Dolomiten weltweit bekannt wurde, sind in den Räumen des Museo Geologico (Geologisches Museum) direkt neben dem Dorfplatz aufbewahrt. Eine faszinierende Ausstellung, bei der man in die aufregende Atmosphäre jener Jahre eintaucht, als die Schönheit dieser steinernen Türme zur Muse der Wissenschaftler, Künstler und Abenteurer wurde.