Was ist eigentlich ein „crazidèl“?
Das ursprüngliche Leben im Trentino – von San Michele all’Adige bis in die Täler
Wahrscheinlich hatten Sie noch nie einen „crazidèl“ in der Hand, richtig? Und Sie wissen auch gar nicht, was das ist, oder? Wir verraten es Ihnen gerne: Es handelt sich um einen Kupfereimer, in dem die Frauen früher das Wasser vom Dorfbrunnen holten. Die Eimer wurden an den langen Holzstab „bilanciere“ gehängt. Zuhause angekommen, wurde der Wassereimer an einem speziellen Möbelstück aufgehängt, so dass mit einer Kupferkelle bei Bedarf jederzeit Wasser geschöpft werden konnte. In manchen Ortschaften heißt der Kupfereimer auch „calcedrèi“, „ciauzerdrèi“, „sedèi“, oder „séci de ram“.
Das ist nur einer der ganz speziellen Gegenstände, die fester Bestandteil des früheren Lebens im Trentino waren. Objekte wie diese erzählen uns eine Geschichte, sie entführen uns in den traditionellen Alltag vergangener Zeiten, zurück zu unseren Wurzeln. Und genau dahin führt auch der Rundgang Sentiero Culturale sulle Tradizioni Popolari. Dabei lernt man viel über das ursprüngliche Leben dieser Region, besucht volkstümliche Museen, alte Mühlen, idyllische Almen und urige Bauernhöfe.
Ausgangspunkt ist San Michele all’Adige und das Val di Fassa (Etappen A-B)
Wir starten die Tour im Volkskundemuseum Museo degli Usi e Costumi della Gente Trentina in San Michele all’Adige. In den 25 Abteilungen in 43 Räumen auf fünf Ebenen werden unzählige Gegenstände ausgestellt, die von der Kultur und Geschichte der Menschheit und Italiens erzählen. Die Themen reichen von Landwirtschaft und Weinbau über Zucht und Handwerk bis zur traditionellen alpinen Fastnacht. Wer auf die Frage „Was ist eigentlich ein ‚crazidèl’?“ eine Antwort sucht, wird hier sicherlich fündig.
Etwas mehr als eine Autostunde muss man bis zum nächsten Museum einplanen. Es liegt im Dorf Vich/Vigo im Val di Fassa. Dort wird immer noch die fast ausgestorbene Ladinische Sprache gesprochen. Hier, am Fuße der Catinaccio, wartet das Museo Ladin de Fascia mit der beeindruckenden ethnografischen Sammlung des Kulturinstitutes „Istituto Culturale Ladino“ auf seine Besucher. Multimedia, Informationspunkte und Zeichnungen des Karikaturisten Milo Manara helfen dabei, die Kultur dieses faszinierenden Alpenvolkes zu verstehen.
Kleiner Tipp: Bleiben Sie bis zum Sonnenuntergang! In dieser Gegend lässt sich nämlich hervorragend das spektakuläre Phänomen „Enrosadira“ beobachten, bei dem die Dolomiten von der untergehenden Sonne in faszinierende Rosa-Töne getaucht werden.
Zu den Bergen im Val di Sole (Etappen C-D-E)
Die nächsten drei Etappen liegen im Val di Sole, im Westen des Trentino.
Zuerst geht’s ins Museo della Civiltà Solandra in Malé. Seine reiche Sammlung historischer Werkzeuge gibt Einblicke in die Arbeit der damaligen Zeit – ob Bauer, Viehzüchter, Zimmermann oder Kupferschmied. Es wurden sogar ganze Räume nachgebildet, um in die Vergangenheit einzutauchen: vom stùa (Schlafzimmer), bis zur Küche mit Kamin, dem Treffpunkt für kalte Winterabende.
Als nächstes steht eine noch funktionstüchtige Wassermühle aus dem vergangenen Jahrhundert auf dem Plan. Die Mulino Ruatti im Val di Rabbi ist nicht weit von Malé. Draußen sind die Wasserräder zu sehen, die früher im Inneren die Maschinen in Bewegung setzten. Im ersten Stock befinden sich die Privaträume des Müllers, ein Schlafzimmer und eine Küche mit traditionellem Herd. Im obersten Stockwerk, das vollständig aus Holz gebaut wurde, war der „famèi“, der Lehrling untergebracht.
Die dritte Etappe dieser Runde führt ins Dorf Strombiano im Val di Pejo. Hier steht die Casa Grazioli, auch Casa de la Béga genannt. Bis 1991 lebte dort Domenica Grazioli, deren Spitzname „La Béga“ war. Hier ist alles originalgetreu erhalten, einschließlich der Kleidung im Schrank, der Familienfotos und der Küche mit vom Kamin rauchgeschwärzten Wänden. Es ist, als ob man in der Vergangenheit zu Besuch wäre.
Das nächste Ziel liegt im Herzen der Dolomiti di Brenta.
Vom Val Rendena zum Valle del Chiese (Etappe F-G)
Die Tour macht nun im Dorf Caderzone Terme im Naturpark Parco Naturale Adamello Brenta Halt. Im Museo della Malga, das im Erdgeschoss des Pferdestalls Rione Lodron-Bertelli untergebracht ist, wird von der typischen Arbeit auf den Almen erzählt: von der Weide, über das Melken, bis hin zur Verarbeitung von Milch zu Milchprodukten. Wohl einer der besten und anschaulichsten Wege, das tägliche Leben auf den Almen kennen zu lernen!
Nach etwa 40 Autominuten erreicht man dann das Casa-Museo Marascalchi in Cimego im Valle del Chiese. Der Bauernhof wurde 1962 verlassen. So sind in den zahlreichen Räumen, wie Stallungen, Keller, Küchen, Schlafzimmer und im Dachboden, wo Heu gelagert und Getreide gedroschen wurde, noch viele originale Gegenstände erhalten, die einen Einblick in den Alltag der ausgewanderten Bauernfamilie geben.
Seltene Sprachen: Zimbrisch und Mochenisch (Etappen H-I)
Zu Beginn der Volkskundetour konnten Sie bereits die Ladiner und ihre Traditionen kennenlernen. Nun zeigen wir Ihnen zwei weitere traditionelle Sprachen und Kulturen des Trentino: Zimbrisch und Mochenisch.
Erst einmal besuchen wir die Zimber. Dafür geht’s zum Haus Von Prükk in Lusern/Luserna. Dieses alte Landhaus aus Kalkstein aus dem 19. Jahrhundert wurde liebevoll restauriert und konserviert. Die Räume im Inneren erzählen von den Menschen, die hier lebten, Tiere züchteten und Lebensmittel lagerten. Im Schlafzimmer kann man die typische, fein geklöppelte Spitze bewundern.
Nun bekommen Sie auch noch Einblick in die Kultur der Mochener. Im Filzerhof, ein Bauernhof in der Gemeinde Vlarotz/Fierozzo im Valle dei Mòcheni, befindet sich ein ethnografisches Museum. Die Sammlung erzählt die Geschichte dieser deutschsprachigen Siedler, die im 13. Jahrhundert ins Tal kamen.
Zum Abschluss der Reise in die kulturelle Vergangenheit geht’s ins Museo etnografico Collezione Tarcisio Trentin in der Gemeinde Telve di Sopra im Herzen von Valsugana. Die Sammlung umfasst mehr als 2.000 Objekte, die in 12 Themengebiete unterteilt ist: von den Räumen des Landhauses und den Werkzeugen des Handwerks über ein Klassenzimmer einer Schule bis zur Käser-Hütte.
Die letzten beiden Etappen im Valsugana (Etappen L-M)
Ihre Reise auf den Spuren der Trentiner Traditionen endet im Herzen der Valsugana, um zwei weitere Museen zu besuchen. Das erste ist das Ethnografische Museum, Sammlung Tarcisio Trentin, in der Gemeinde Telve di Sopra. Seine Räume beherbergen über 2.000 Objekte und zeigen in 12 thematisch untergliederten Abteilungen u.a. die Einrichtung eines Bauernhauses, Arbeitsgeräte, Werkzeuge und sogar ein Schulzimmer und das Ambiente einer Käserei auf der Almhütte.
Das zweite und letzte Museum dieses den Traditionen gewidmeten Kulturpfads ist das Museo per Via, das die Geschichte der wandernden Verkäufer erzählt, die mit ihren Kunstdrucken die unterschiedlichsten Ecken der Welt erreichten. Diese kleine, aber sehr interessante Ausstellung bietet verschiedene Perspektiven: einmal die der Straßenhändler, die aufbrachen und unvorstellbare Strecken zu Fuß zurücklegten, und andererseits die ihrer Familien, die in den Dörfern blieben, um sich den Herausforderungen des Alltags in den Bergen zu stellen.